CINEMA: A PUBLIC AFFAIR ist ein Film über die Kraft des Kinos. Ausgangspunkt ist die Arbeit von Naum Kleiman – ehemaliger Direktor des Moskauer Filmmuseums, Eisenstein-Experte und Filmhistoriker – im Kontext der aktuellen Situation in Moskau.


Statement der Regisseurin

Die Moskauer Cinemathek, das Musey Kino, wurde 1989 von dem weltberühmten Filmhistoriker Naum Kleiman gegründet. Dieser Ort hatte eine enorme Bedeutung für das Moskau der Wendejahre und für eine ganze Generation junger russischer Filmregisseure. 2005 wurde das Musey Kino aufgrund eines Immobilienskandals obdachlos und existiert seitdem nur noch als Archiv. Von 2005 bis 2014 kämpften ihr Direktor, Naum Kleiman, und seine Mitstreiter darum, ein neues Gebäude zu erhalten. Mit unermüdlichem Engagement hielten sie die „Cinemathek im Exil“ am Leben, indem sie in ganz Moskau fast täglich Filmvorstellungen in Kinos und Museen organisierten. Im Oktober 2014 wurde Naum Kleiman vom Kulturminister durch eine regierungstreue Direktorin ersetzt. Damit wurde das Musey Kino als Forum für Kino und freien Gedankenaustausch endgültig zerstört.

Von 2009 bis 2014 habe ich in Moskau gelebt. Ich bin halb Russin, halb Deutsche. Als Filmemacherin bin ich umgeben von Freunden und Kollegen, die sich mit Film auseinandersetzen. Doch ich habe nie Menschen getroffen, denen Film so viel bedeutet, wie den Moskauern, die für das Überleben dieser Cinemathek kämpfen. Für Naum Kleiman und seine Begleiter ist Kino ein Weg zu persönlichem Wachstum und zur Demokratie. Ihr Engagement berührt mich seit Jahren immer wieder aufs Neue.

Die Stimmung unter meinen Moskauer Bekannten ist zusehends von Angst bestimmt. Stellungnahmen gegen die Regierung können den Verlust des Arbeitsplatzes zur Folge haben. Viele möchten das Land verlassen.

Ich selbst weiß aus der Erfahrung meiner russischen Familie, was es bedeutet, in einem totalitären System zu leben, wie Angst das tägliche Leben prägen und Grund zur Emigration werden kann.

Naum Kleiman hat sein ganzes Leben unter repressiven Regimes verbracht. Obwohl für ihn die Möglichkeit zur Ausreise bestand, hat er nie erwogen, das Land zu verlassen. Angst ist für ihn keine Option. Er reagiert auf die aktuelle politische Situation mit Mut und Gelassenheit. Die Menschen, die ihn unterstützen, gehören unterschiedlichsten Alters- und Berufsgruppen an. Manche von ihnen sind mittlerweile international preisgekrönte Regisseure, die das Musey Kino als ihre wichtigste Ausbildungsstätte sehen. Andere haben beruflich nichts mit Film zu tun. Eines jedoch verbindet sie: Kino hat für sie eine existentielle Bedeutung.

Rund um den Globus hat die digitale Revolution das Filmemachen und das Filmesehen verändert. Jeder kann einen Film auf seinem Handy drehen. Und jeder kann ganz alleine zu Hause Filme schauen. Obwohl es im Westen noch Cinematheken gibt, die ein gemeinschaftliches Kinoerlebnis bieten, wird diese Möglichkeit immer weniger als Wert geschätzt.

Mein Film erzählt eine Geschichte über Menschen, die kein Forum mehr für die ihnen wichtigen Kinofilme haben, obwohl sie in einem Land leben, das weltweit eine der wichtigsten und ältesten Filmtraditionen hat. Sie haben keine Möglichkeit mehr, „ihre“ und fremde Filme gemeinsam zu entdecken und zu diskutieren. Erst durch diese Abwesenheit wird plötzlich spürbar, was ein Ort bedeuten kann. Das Musey Kino war ein Ort der Freiheit.

Für Naum Kleiman ist dies ein zentrales Thema: das Recht auf Freiheit. Er kennt Diskriminierung und Deportation aus eigener Erfahrung. Im Kampf gegen die Angst spielte Kino für ihn eine entscheidende Rolle.

Naum Kleiman zuzuhören, macht Mut.